Intermagic 1. Jhg. 1973/1974 – Ausgabe 1
THE VERNON TOUCH
Übersetzt aus GENII The Conjurers Magazine, herausgegeben von William W. Larsen, Jr.
Magie entfaltet ihre Wirkung nur dann, wenn Timing, Stimmung und Präsentation stimmen. Der Text, im Original von Dai Vernon verfasst, beleuchtet, wie Tricks so platziert und vorgeführt werden, dass sie das Publikum fesseln, welche Rolle Humor, Stil und Geschmack spielen und warum die Denkweise professioneller Zauberer den Unterschied zwischen bloßer Technik und echter Wirkung ausmacht.
The Vernon Touch
The Vernon Touch
Ich denke, wir sollten diesen ersten Artikel damit beginnen, indem wir etwas über Magie im Allgemeinen sagen. Viele Leute glauben, dass jedermann begierig ist, zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Trick zu sehen. Wann Sie anderen Menschen Kunststücke zeigen, ist sehr wichtig. Im Magic Castle sind sie natürlich immer bereit, einen Trick zu sehen, aber wenn Menschen singen oder tanzen oder sich unterhalten und es kommt dann jemand und sagt: „Ich werde Ihnen einen Trick zeigen … ziehen Sie jetzt eine Karte … passen Sie auf … schauen Sie … Achtung.“ Dies ist für Magie nicht gut. Magie muss mit Vorsicht und im passenden Stil zum richtigen Zeitpunkt präsentiert werden, sonst kann sie für normale Menschen sehr lästig werden.
Auch, was Sie sagen, wenn Sie zaubern, ist sehr wichtig. Falls Sie ein natürlicher Humorist sind und wenn die Menschen beim Erzählen einer Geschichte in fröhliches Gelächter ausbrechen oder von ihren Stühlen fallen, dann sind Sie wahrscheinlich eine lustige Type, die komische Geschichten erzählt und dies auch beim Zaubern verwenden kann. Aber wenn beim Erzählen einer Geschichte jeder auf die Seite sieht und wegblickt und niemand lacht … und Sie zaubern und versuchen, komisch zu sein, dann ist dies eine Katastrophe. Da gibt es einen gewissen Herrn, der in New York lebte und Mentalmagie vorführt und dies so langweilig wie nur denkbar präsentiert, nur aufgrund dessen, was er sagt, denn er führt seine Kunststücke ziemlich gut vor. Francis Carlyle, ein in der Magie sehr kenntnisreicher Mann, behauptet, dass noch niemals ein Buch über magisches Management, welches sehr wichtig ist, geschrieben wurde. Das Managen aller Dinge ist sehr wichtig. Sie können einen Trick perfekt beherrschen, aber ich glaube, dass es in der Zauberei wichtiger ist zu wissen, wie man sie managt. Viele Leute wissen nicht genau, wie man einen Trick managt und vorführt.
Eine andere Sache, die Zauberkünstler nicht zu erkennen scheinen, ich meine eine große Mehrheit unter ihnen, ist, dass ich niemals erlebt habe, dass ein guter Bariton aufsteht und „Auf der Straße nach Mandalay“ singt und unmittelbar nachdem er endet ein anderer Sänger aufspringt und sagt: „Gut, Klavierspieler, spielen Sie das nochmal“ … und er dann auch sofort „Auf der Straße nach Mandalay“ singt. Sänger machen so etwas nicht. Tänzer stehen nicht auf und tanzen genauso wie jemand anderes. Wenn jemand einen Witz erzählt, erzählen die Leute nicht den gleichen Witz. Sie sagen vielleicht: „Hier ist eine Abwandlung davon“ oder „Hier ist eine ähnliche Geschichte“, aber sie springen nicht auf und versuchen, dasselbe zu tun. Zauberkünstler scheinen die Einstellung zu haben: „Nun, ich mache das auch und Sie sollten mal sehen, wie ich es vorführe. Beachten Sie jetzt die Art, wie ich es mache.“ Für die Zuschauer ist es der gleiche Trick, aber ich glaube, dass Magier aus sich selbst einen Esel machen, wenn sie versuchen, genau dasselbe zu zeigen wie jemand anderes.
Effekt ist. Er weiß, was die Zuschauer sehen. Es spielt keine Rolle, wie plump die Vorführungsmethode ist, solange der Effekt gut ist, wird er ihn verwenden. Der Amateur ist mehr an der Methode interessiert. Wenn die Methode sehr scharfsinnig und klug und teuflisch raffiniert ist, liebt er den Trick, ganz gleich, was die Leute denken. Vielleicht verstehen sie sogar nicht, was er eigentlich zeigt, aber solange er das Gefühl hat, dass er all diese herrlichen, kunstvollen und schlauen Dinge tut, glaubt er, dass er einen großen Trick vorführt. Dabei langweilt er vielleicht die Leute zu Tode. Es ist genauso wie, wenn jemand ein Bild malt. Der eine malt vielleicht etwas auf eine Hemdeinlage, und wenn ihm ein schönes Bild gelingt, werden es die Menschen betrachten und sagen: „Das ist schön. Schauen Sie sich dieses Bild an.“ Ein anderer verwendet vielleicht die besten Farben der Welt und hat die beste Leinwand, die man für Geld kaufen kann, und sitzt mit einem Samtumhang in einem herrlichen Atelier, doch wen kümmert das? Alles, was die Menschen sehen, ist das Bild. Nun, das ist, was der Berufler mit Magie macht. Er sieht das Bild, wie es die Zuschauer sehen, der Amateur dagegen nicht. Dies ist ein Punkt, auf den viele Magier achten sollten. Sie müssen sich in die Lage der Zuschauer versetzen.
Ein anderer wichtiger Punkt ist das Platzieren von Tricks. Viele Leute bringen ihre besten Tricks zu Beginn und schließen dann mit einem schwachen Kunststück ab. Sie sollten die alte Vaudeville-Formel befolgen, die ideal ist. Denken Sie an Magie wie an ein Schauspiel. Ein Schauspiel hat einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende … einen Höhepunkt. Das ist der Grund, warum ein Kunststück wie das Becherspiel ein Klassiker ist. Zuerst werden bei der Eröffnung die Utensilien vorgeführt, indem man einen Becher durch den anderen fallen lässt. Dann kommt eine kleine Folge von Griffen … alle verschieden … und es passieren komische Dinge. Dann, BUMM, gibt es einen Klimax … eine Produktion, die dramatisch sein muss und den Abschluss bildet. Und genau so muss eine Zaubervorführung sein.
Die meisten dieser Herren besitzen „Greater Magic“. Sie sollten das Vorwort von Bamberg lesen, welches ausgezeichnet ist. Wenn ein Zauberkünstler auftritt, sehen die Zuschauer diesen Mann das erste Mal. Sie schätzen ihn ab. Sie betrachten ihn und sagen: „Er sieht einigermaßen normal aus“, oder „Er sieht boshaft aus … oder er sieht schlecht aus … oder er sieht komisch aus“ … aber sie schätzen ihn ab, wenn er das erste Mal auftritt. Nun, er braucht nicht sofort etwas zu sagen, denn wenn er gleich beginnt zu sprechen, lässt er sie wissen, was für eine Art Mensch er ist. Aber wenn er irgendeine Kleinigkeit vorführt, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, sagen sie: „He, das hat er gut gemacht“ oder „Das macht er nett“, und sie denken: „Was für ein Mensch ist er wohl?“ Nun, die ersten Worte, die er spricht, seine Einführung, sind wie ein warmer Händedruck oder wie wenn man einen Menschen das erste Mal trifft. Deswegen ist die Einführung sehr wichtig. Nachdem er dann begonnen hat, kann er alles machen, aber er muss mit etwas schließen, das sie erschüttert … einem Hammer. Deswegen ist die alte Vaudeville-Formel des Beginnens mit einem ziemlich guten Trick, einem schwachen Mittelteil und einem starken Abschluss, die Formel, nach der man eine Routine oder einen Trick zusammenstellt.
Eines meiner großen Idole war Hofzinser, und bei einem seiner Kunststücke sagt er: „Dieses Kunststück, gut verstanden und gekonnt vorgeführt, verfehlt niemals eine ungeheure Wirkung zu erzielen … andernfalls kann eine Wirkung nicht erwartet werden.“ In anderen Worten, wenn Sie ein Kunststück nicht durch und durch verstehen und gekonnt vorführen … nun, dann erzielen Sie keine Wirkung. Das ist alles.
Jeder, der einen Trick vorführt, um zu unterhalten, sollte erst einen Trick finden, den er vorführen möchte. Sie können nicht gleichzeitig ein halbes Dutzend erlernen. Sie glauben, dass Sie es können, aber es ist besser, wenn man ein, zwei, drei oder vier Tricks gut einstudiert, als wenn man hundert Tricks schlecht einstudiert. Entscheiden Sie, welchen Trick Sie vorführen möchten, und lernen Sie ihn dann zu handhaben, selbst wenn es sich darum handelt, ein Taschentuch emporzuhalten und beide Seiten vorzuzeigen. Sie sollten üben, dies sauber auszuführen, zu zeigen, was Sie zeigen wollen, und es auf ansprechende und elegante Art den Zuschauern darzubieten. Nun sollten Sie die Kunstgriffe ausarbeiten. Falls es einige Griffe gibt oder falls Sie etwas verbergen müssen, machen Sie es auf eine natürliche Art. Nachdem Sie dann alles einstudiert haben, ist der wichtigste Punkt der, alles durchzudenken. Gebrauchen Sie Ihren Kürbis zwei oder drei Wochen. Gehen Sie spazieren und denken Sie: „Wie ist die beste Art, dies vorzuführen? Kann ich irgendeine Geschichte dazu erzählen? Kann ich einen Witz dabei bringen? Wie gestalte ich bei dieser Sache die Eröffnung, den Mittelteil und einen wirkungsvollen Abschluss?“
Ein Freund von Dr. Daley sagte einmal, dass es das Unglück der Zauberei sei, dass der Durchschnittsmensch, der zaubert, keinen guten Geschmack besitzt. Hierin ist viel Wahrheit enthalten. Geschmack wird in der Zauberkunst sehr stark widergespiegelt: Geschmack in den Utensilien, Geschmack in der Kleidung, Geschmack in der Sprache, Geschmack in allem. Wünschen Sie also, Ihren Akt zu verbessern, dann sollten Sie versuchen, all diese Dinge besser zu verstehen, und Sie werden der Zauberkunst helfen.
Manche wollen, wenn sie mit der Zauberkunst beginnen, Kartentricks vorführen, und sie wollen mit dem „Second Deal“ (Austeilen der zweiten Karte) anfangen. Man ist fasziniert davon, aber was kann man damit anfangen? Selbst wenn man daran 20 Jahre lang übt, wird es einem nicht gelingen, irgendjemanden damit zu täuschen. Also sollte man sich nicht damit belasten, außer man will sich selbst damit amüsieren.
Es gibt so viele Dinge in der Zauberkunst. Sie müssen Fragen stellen … Sie müssen wissen, was die Gedanken der Menschen ausfüllt. Als ich noch ein junger Grünschnabel war und in einem einsamen Landesteil Kanadas lebte, musste ich ein ganzes Jahr warten, um Berufsmagier wie Leipzig, Nelson Downs oder Thurston zu sehen, wenn sie die Stadt besuchten; nur um mit ihnen zu sprechen und einige Fragen zu stellen. Es muss hunderte von Fragen geben, die an der Zauberkunst Interessierte gerne stellen würden. Ein kurzes Wort kann ermutigen und jemanden sehr helfen.
Ich habe eine Frage von David Bornstein aus Dänemark erhalten; er möchte gerne wissen, welches Kunststück ich für den unterhaltendsten Trick für Laien halte, für eine Gesellschaft, welche nur aus Damen besteht, und für Magier. Wir werden darüber das nächste Mal sprechen.
Kommentar
Ein Kommentar von Jan Dober
Dai Vernon, einer der einflussreichsten Zauberkünstler des 20. Jahrhunderts, legt in seinem Text großen Wert auf Timing, Stimmung und Präsentation. Zentral ist seine These, dass die Wirkung eines Tricks nicht primär von der technischen Raffinesse abhängt, sondern davon, wie das Publikum ihn erlebt. Diese Sichtweise richtet den Fokus weg von der Methode hin zum Effekt – ein Grundprinzip, das auch heute in der professionellen Bühnenmagie gilt.
Vernon hebt hervor, dass Magie situativ gestaltet werden muss: Ein Trick, der im richtigen Moment vorgeführt wird, kann bezaubern; der gleiche Trick im falschen Moment kann störend oder banal wirken. Damit rückt das Verständnis für die Dynamik des Publikums in den Vordergrund. Interessant ist sein Vergleich zu Musikern, Tänzern oder Erzählern: Vernon kritisiert die Tendenz vieler Zauberer, Tricks als Selbstzweck zu zeigen, ohne auf die Reaktion des Publikums zu achten. Aus dieser Perspektive erscheint Magie weniger als technisches Können, sondern als kommunikative Kunstform.
Ein weiterer Aspekt, den Vernon betont, ist das Management eines Tricks: Die Struktur einer Vorstellung – Eröffnung, Mittelteil, Höhepunkt – folgt klassischen Vaudeville-Prinzipien. Hier wird deutlich, dass Magie nicht nur als Sammlung von Einzelleistungen verstanden werden sollte, sondern als inszenierte Dramaturgie. Vernon fordert die Zauberer auf, sich konsequent in die Rolle des Publikums zu versetzen und ihre Kunst aus dieser Sicht zu bewerten.
Aus analytischer Sicht lässt sich Vernons Ansatz ergänzen: Während er den Fokus stark auf Timing, Präsentation und psychologische Wirkung legt, bleibt die Interaktion zwischen Performer und Publikum etwas unbeleuchtet. Moderne Zauberkunst erweitert dieses Prinzip, indem sie Partizipation und Mitgestaltung stärker einbezieht. Der Performer wird so nicht nur zum Beobachter der Wirkung seiner Tricks, sondern auch zum aktiven Gestalter der Reaktion. Dies erweitert Vernons Gedanken: Magie als dynamisches Zusammenspiel von Technik, Effekt und sozialer Interaktion.
Ein weiterer zentraler Punkt ist Vernons Kritik an der „Geschmacklosigkeit“ vieler Amateure. Seine Beobachtung trifft auch heute zu. Geschmack ist kein nebensächliches Detail, sondern spiegelt Haltung, Bewusstsein und ästhetisches Urteilsvermögen wider. In der Zauberkunst zeigt er sich in der Auswahl der Requisiten, in Sprache, Kleidung und Inszenierung. Wo Geschmack fehlt, verliert Magie ihre Würde und Wirkung. Vernons Hinweis bleibt deshalb aktuell: Wer zaubert, übernimmt Verantwortung für Form und Ausdruck – und damit auch für das Maß an Stil, das seine Kunst trägt.
Schließlich verdeutlicht Vernons Text die zeitlose Spannung zwischen Technik und Wirkung. Ein perfekt beherrschter Trick bleibt wirkungslos, wenn er nicht mit dem Publikum „verstanden“ wird. Effektive Magie verlangt nicht nur Meisterschaft in der Technik, sondern auch Reflexion über Wahrnehmung, Empathie und narrative Struktur. Sie ist eine Synthese aus Können, Inszenierung und emotionaler Intelligenz.
Fazit: Vernons Text bleibt ein zentraler Leitfaden für Zauberkünstler, die nicht nur Tricks lernen, sondern Magie als kommunikative Kunst begreifen wollen. Eine vertiefende Analyse zeigt, dass Magie über Technik und Effekt hinausgeht: Sie ist ein komplexes Zusammenspiel von Timing, Präsentation, Interaktion und kultureller Wahrnehmung. Die Herausforderung für den modernen Zauberkünstler liegt darin, diese Elemente zu balancieren und zugleich die eigene Kreativität und Persönlichkeit einfließen zu lassen.
Im nächsten Teil werden die Prinzipien praktisch erlebbar: Welche Tricks wirken bei unterschiedlichen Zuschauergruppen, wie sie von Künstlern umgesetzt werden und wie Inszenierung und Reaktionen des Publikums gesteuert werden. Ein Link zum vollständigen Artikel ermöglicht den direkten Zugang.
Der Text stammt aus dem Fachmagazin Intermagic, das von Rudolf Braunmüller herausgegeben wurde. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber.
