Inszeniert! – Kunstvoll spielen für Kinder
Publikum: Kind
Jan Dober
Aus den Arbeitsnotizen zu Inszeniert! – dem Buchprojekt über Bühnenkunst mit Kindern
Inszeniert! – Eins
Sie ist nicht „albern“, nicht „weniger ernst“.
Sie ist – und das sage ich mit Überzeugung – eine eigene Kunstform.
Und wie jede echte Kunstform braucht sie mehr als Technik.
Sie braucht Haltung.
Eins
Handschriftlich adressiert. Kein Logo. Kein Absender. Nur mein Name. Und die Ahnung, dass dieser Brief wichtig war. Ich habe ihn geöffnet, ohne viel darüber nachzudenken. Die Handschrift darin war mir sofort vertraut – ruhig, klar, elegant. Ein alter Freund aus meiner Theaterzeit. Wir hatten lange keinen direkten Kontakt mehr, aber es war, als wäre keine Zeit vergangen. Seine Worte trafen mich auf eine leise, fast intime Weise:
„Ich weiß, was du kannst. Und ich glaube, du könntest noch mehr entdecken. Komm vorbei. Drei Tage. Ein Ort zum Denken, Üben, Suchen.“
Er sprach von einem kleinen Kreis eingeladener Künstler:innen – Zauberer, Performer, Clowns, Theaterpädagog:innen. Und davon, dass ich den Workshop leiten würde. Eingeladen hatte er mich, weil er meine Arbeit kennt – und weiß, wie sehr mich die Verbindung von Psychologie, Schauspiel und Bewegung beschäftigt.
Das Thema: Präsenz, Haltung, Wirkung, Bühnenbeziehung mit Kindern. Ein Bereich, der meine Arbeit seit jeher durchzieht, aber selten ausführlich betrachtet wird. Vieles davon geschieht beiläufig, eingebettet in das Spiel, in den Moment. Doch genau darin liegt die eigentliche Substanz – in dem, was zwischen den Zeilen geschieht, was nicht erklärt, sondern erlebt wird. Keine klassische Weiterbildung, kein Seminar. Eher ein intensives Künstler:innentreffen. Kein Format, das man buchen konnte – sondern eines, das aus der Begegnung heraus entstand.
Ich musste nicht lange überlegen. Nicht, weil ich auf der Suche war. Ich bin zufrieden mit dem, was ich tue. Meine Shows funktionieren. Das Publikum lacht, staunt, applaudiert. Ich verdiene mein Geld mit Magie – und das seit Jahren. Und doch … irgendetwas an dieser Einladung klang wie ein Versprechen. Nicht nach mehr. Sondern nach Tiefe. Nicht nach einem neuen Trick – sondern nach einem neuen Blick.
„Viele glauben, dass der Effekt die Kunst ist. Aber der Effekt ist nur ein Werkzeug. Die Kunst liegt im Menschen, der ihn trägt – und in der Beziehung, die er zum Publikum aufbaut.“
Ich glaube, das ist der eigentliche Grund, warum ich zugesagt habe.
Nicht aus Unsicherheit. Sondern, weil ich spürte, dass es sich lohnen würde, darüber nachzudenken.
Noch am selben Abend habe ich begonnen, meine Gedanken und Erfahrungen zu sammeln. Was bedeutet es eigentlich, als Künstler mit Kindern zu arbeiten?
Es gibt Momente, in denen ich den Eindruck habe, dass die Sprache selbst gegen mich arbeitet. Sie wird zu einer Barriere, die mir im Weg steht, die Gedanken in die richtige Richtung zu lenken. Und dann gibt es diese anderen Momente, in denen ich mich mit jeder Zeile freier fühle, fast als würde der Text mir beim Denken helfen. Es ist ein seltsames Zusammenspiel von Selbstbefragung und Erkenntnis.
In ein paar Tagen fahre ich los, zu diesem Ort. Ein Ort, der mit großen Worten lockt: Präsenz und Haltung. Diese Begriffe schwingen durch die Luft, sie setzen Erwartungen, und doch wirken sie auch wie Zusage, deren Ausmaß ich noch nicht ganz erfassen kann. Ich habe meine Shows, meine Routinen. Ich weiß, was ich tue, und ich weiß, dass das Publikum bei mir staunt. Aber was bedeutet es, in dieser Arbeit wirklich „Haltung“ zu haben?
Manchmal frage ich mich, ob diese Begriffe wie „Haltung“ nicht schon zu oft verwendet wurden, um alles und nichts zu beschreiben. Oft hört man sie in Diskussionen, in die sie sich schleicht, ohne je wirklich festzulegen, was sie meinen. Für viele klingt „Haltung“ nach etwas Großem, nach einer ethischen oder politischen Position. Aber in der Kunst geht es nicht um eine feste Meinung, sondern um Entscheidungen, die ich treffe – und um die Verantwortung, die ich damit übernehme.
Haltung ist keine theoretische Behauptung, keine Pose, die ich auf die Bühne werfe. Sie zeigt sich im Tun. In den Momenten, in denen ich mit den Kindern spreche, in denen ich mich darauf einlasse, ihre Neugier aufzugreifen und sie in das Geschehen zu integrieren. Haltung wird sichtbar in den Entscheidungen, die ich treffe: Was lasse ich weg? Was tue ich bewusst, um den Raum für das Unerwartete zu öffnen? Wie respektiere ich den Moment und das Publikum?
Es geht darum, eine Beziehung aufzubauen. Künstlerische Haltung ist nicht das Aufdrücken einer Idee, sondern das Angebot einer Begegnung. Das bedeutet, sich auf das Gegenüber einzulassen, ohne die Kontrolle zu verlieren. Ich will keine Distanz schaffen zwischen mir und dem Publikum. Vielmehr will ich eine Verbindung aufbauen, die es ermöglicht, dass das Staunen und das Lachen von innen kommen – nicht als flüchtiger Effekt, sondern als echtes Erlebnis.
In der Arbeit mit Kindern wird diese Haltung noch viel greifbarer. Kinder merken sofort, wenn jemand auf der Bühne nicht authentisch ist, wenn etwas gespielt oder künstlich wirkt. In der Kinderzauberei geht es nicht nur darum, Tricks zu zeigen, sondern darum, eine Beziehung zu den jungen Menschen herzustellen, sie in den Zauber mit einzubeziehen. Was bleibt, wenn der Trick vorbei ist? Die Kinder erinnern sich nicht nur an den Effekt, sondern an das Gefühl, das sie dabei hatten. Und das ist der wahre Wert der Arbeit, der wahre Wert der Haltung.
Die Arbeit mit jungen Menschen verlangt von mir als Künstler eine andere Verantwortung. Es geht nicht nur um Unterhaltung, sondern um eine echte Auseinandersetzung mit dem Moment, mit den Reaktionen und den Gedanken der Kinder. Ich habe die Aufgabe, einen Raum zu schaffen, in dem sie sich sicher und inspiriert fühlen, in dem Staunen und Fragen zugelassen sind. In diesem Raum ist die Kunst keine Illusion, sondern ein Dialog, der die Kinder einlädt, sich selbst zu entdecken.
Und dennoch ist es eine Herausforderung, sich immer wieder die Frage zu stellen, wie diese Haltung mit der Technik zusammenpasst. Technik allein ist nicht genug, aber ohne sie bleibt Haltung unsichtbar. Die Kunst liegt im Zusammenspiel von beidem: der bewussten Technik und der Haltung, die sie lenkt. Der Trick ist nicht mehr nur ein Mittel zum Zweck. Der Trick wird zum Werkzeug, das die Kunst trägt – aber es ist die Haltung, die ihm Tiefe verleiht.
Das bedeutet nicht, dass Haltung immer das gleiche ist. Sie entwickelt sich. Sie verändert sich. Sie ist individuell. Doch in der Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung geht es nicht um den bloßen Ausdruck von Ideen, sondern um die Reflexion dessen, warum und wie ich Kunst mache. Welche Werte, welche Überzeugungen stecken hinter meinen Entscheidungen? Diese Fragen sind unangenehm, oft unbequem, aber sie sind notwendig, um klar zu sehen, was ich wirklich tue.
Vielleicht ist es genau das, was mich an dieser Einladung so fasziniert hat: die Möglichkeit, in meiner Arbeit eine tiefere Bedeutung zu finden, die über die Technik hinausgeht. Eine Haltung zu entwickeln, die nicht nur eine äußere Fassade ist, sondern eine innere Haltung, die die Kinder erreicht, sie mitnimmt, ihnen etwas mitgibt. In diesem Prozess finde ich die wahre Essenz des künstlerischen Schaffens – nicht im Effekt, sondern in der Beziehung, die entsteht.
Der Tag kam, ich war soweit und ging zum Bahnhof. Kaffee war wichtig, die Nacht war lang. Ich sitze im Großraumwagen, außen, um die Beine auszustrecken. Meine Sitznachbarin hört Musik. Ich habe das Vergnügen, mitzuhören. Ich mochte die Musik – London Grammar. Atmosphärisch und ehrlich. Genau das, was ich jetzt brauche.
Über das Buchprojekt
Inszeniert! – Kunstvoll spielen für Kinder
Dieses Buchprojekt ist eine Schritt-für-Schritt-Dokumentation meiner Arbeit als Bühnenkünstler mit über 21 Jahren Erfahrung in der Arbeit mit Kindern – auf der Bühne, im Close-up, in Kitas, Schulen und bei Familienfesten. In den Artikeln fließen all diese Erfahrungen ein und verbinden sich mit meiner intensiven Reflexion über Bühne, Präsenz, Haltung und die Beziehung zwischen Künstler:in und jungem Publikum.
Der erste Teil, der hier veröffentlicht wird, ist eher theoretisch angelegt und beleuchtet Fragen der künstlerischen Haltung und Bühnenpräsenz. In den folgenden Teilen werden die Beiträge zunehmend praktisch: Übungen, Techniken und Methoden, die direkt aus meiner Arbeit mit Kindern entstanden sind, werden vorgestellt und erklärt.
Die Texte sind reflektiert und tiefgehend; sie zeigen, wie eng Theorie, Praxis und persönliche Erfahrung miteinander verbunden sind. Gleichzeitig laden sie dazu ein, eigene Beobachtungen und Erfahrungen zu machen – das Projekt versteht sich nicht als fertige Anleitung, sondern als Einladung zur Auseinandersetzung mit der Kunst des Spielens für Kinder.
Der erste Teil meines Buchprojekts „Inszeniert! – Kunstvoll spielen für Kinder“ ist frei zugänglich – für alle, die einen Einblick in die Arbeit mit Kindern auf der Bühne bekommen möchten.
Alle weiteren Teile erscheinen am ersten Donnerstag jedes Monats im Abonnementbereich. Wer ein Abo hat, kann die Essays direkt verfolgen und so die Arbeit für das Magazin auf diese Weise unterstützen.
Ich freue mich, wenn Sie diese Reise begleiten und Teil des Projekts werden.
