Daniel Kühne
Die Suspension of Disbelief ist ein fundamentales Konzept aus dem Theater, das in der Zauberkunst eine noch tiefere Bedeutung erlangt, da der Zuschauer hier nicht nur bereit ist, an das Unmögliche zu glauben, sondern der Künstler aktiv dafür sorgt, dass dieser Glaube unerschütterlich bleibt.“
Es gibt den Terminus Technicus der „Suspension of Disbelief“ aus dem Theater, und er bedeutet „Aufgeben des Unglaubens“, d.h. der Zuschauer lässt sich darauf ein, um der Geschichte willen daran zu glauben, was ihm vorgespielt wird. Er weiß, dass beispielsweise niemand auf der Bühne stirbt, kämpft oder auch nur der Charakter ist, den er darstellt. Dies ist ein schweigendes und vorausgesetztes Übereinkommen zwischen Vorführendem und Publikum, denn ohne dieses wäre ein Stück nicht denkbar.
In der Zauberei verhält es sich grundlegend anders: Der Zuschauer weiß, dass es keine Zauberei gibt (siehe Pit Hartling), aber er hat keine andere Erklärung für das Gesehene. Der Künstler kann diese Grundannahme sogar bestätigen und ganz offen erzählen, dass alles nur Illusion ist. Nichtsdestotrotz erscheint diese (wahre) Aussage unglaublich, denn was gesehen und erlebt wird, hat keinen erkennbaren natürlichen Grund. Diese kognitive Dissonanz wird sogar noch verstärkt, weil man ja weiß, dass betrogen wird (siehe James Randi, der ehrliche Lügner). Aber diese Erklärung ist zu generisch, als dass sie von Nutzen sein könnte.
Gutes Zaubern zeichnet sich aber nicht dadurch aus, dass der Zuschauer nicht weiß, wie das Gesehene denn nun gemacht wurde (dafür reicht nämlich eine generische Erklärung, z.B. „ein iPhone funktioniert mit Technik, ist aber keine Zauberei“), sondern dadurch, dass er fest davon überzeugt ist, allem folgen zu können und das Gesehene unter diesen Umständen völlig unmöglich ist. Jeglicher Lösungsansatz wird ihm versperrt, und zwar auf subtile Weise. Will sagen, was er denken könnte, wird vom Künstler antizipiert und ausgeschlossen.
Kürzlich hatte ich das große Vergnügen, dass mir ein guter Freund erzählte, er erinnere sich noch an den ersten Kartentrick, den ich ihm vor fünfzehn Jahren gezeigt habe – Jack Carpenters „Jesse James Gang“. Ich schließe daraus, dass dieses Übernehmen der Suspension of Disbelief seitens des Künstlers und nicht des Zuschauers maßgeblich dazu beiträgt, unvergessliche Momente (ohne jede Übertreibung) zu kreieren.
Es ist allerdings nicht einfach, denn man muss dazu sein eigener schärfster Kritiker sein, nach Perfektion streben, und man darf sich nicht damit zufriedengeben, dass Zuschauer, wie im Theater gelernt, ihren Unglauben selbst aufgeben. Man muss das Heft selbst in der Hand halten. Nur so kann man den Zuschauer zum Tamariz’schen „zauberhaften Regenbogen“ führen und ihm ein einzigartiges und zauberhaftes Erlebnis bescheren.