Trainiere die Verbindung zwischen Gefühl, Blick und Bewegung
Slow Motion Übung für die Zauberkunst
„In der Langsamkeit liegt die Wahrheit der Bewegung.“
Inspiriert vom Körpertheater nach Lecoq
Ziel der Übung
Diese Übung schärft die emotionale Ausdruckskraft, indem sie Bewegungen stark verlangsamt. In der bewussten Slow Motion treten feine Regungen zutage – und mit ihnen das, was eine Performance wirklich lebendig macht: innere Präsenz.
Gerade in der Zauberkunst, wo oft Präzision und Timing im Vordergrund stehen, kann die emotionale Tiefe verloren gehen. Diese Methode bringt das Gefühl zurück ins Zentrum der Magie – und macht den Trick zu einem berührenden Moment.
Das brauchst du
Einen einfachen Trick (z. B. das Erscheinen/Verschwinden einer Münze, Farbwechsel bei Karten)
Einen Spiegel oder ein Smartphone zur Videoaufnahme
Einen ruhigen Raum mit Platz zum Bewegen
Optional: ruhige, instrumentale Hintergrundmusik
Schritt für Schritt – So funktioniert die Übung
1. Technik ohne Emotion
Führe den Trick ohne Mimik, ohne Dramatik aus. Rein technisch. Du beobachtest den reinen Ablauf – wie ein Roboter oder Techniker.
2. Verlangsamung
Wiederhole den Trick in extremer Zeitlupe. Jede Bewegung wird gedehnt. Achte auf:
Übergänge zwischen den Positionen
Spannung in den Händen
Atmung und Blickführung
Tipp: Stell dir vor, du bewegst dich durch Honig.
Anmerkung
Die Metapher „Stell dir vor, du bewegst dich durch Honig“ stammt aus dem Körper- und Bewegungstraining (z. B. aus Lecoq-, Viewpoints- oder Grotowski-Arbeit) und ist eine bildhafte Anleitung, um Bewegungen extrem bewusst und langsam auszuführen.
Warum Honig?
Honig ist zäh und dickflüssig – er erzeugt Widerstand.
Wenn du dir vorstellst, dass deine Arme, Hände oder dein ganzer Körper sich durch Honig bewegen, verlangsamst du automatisch jede Bewegung – weil du diesen imaginären Widerstand spürst.
Gleichzeitig erzeugt es eine gewisse Körper-Spannung – man bleibt präsent, „hängt“ nicht einfach nur schlaff in der Bewegung.
Effekt:
Es entsteht eine kontrollierte, bewusste Bewegung, in der man jeden Übergang spürt. Genau das ist in der Slow-Motion-Arbeit wichtig. Viele Bewegungen wirken sonst „leer“ oder mechanisch. Mit dem Honig-Bild kommt Widerstand und Tiefe dazu – man spürt den Weg, nicht nur das Ziel.
3. Emotion einladen
Wähle nun eine Emotion, z. B.:
Staunen – Als wärst du selbst überrascht
Freude – Leicht, verspielt, fast kindlich
Ehrfurcht – Ruhig, mystisch, tief verbunden
Traurigkeit – Ein Hauch von Verlust, Melancholie
Lass sie in deine Haltung, deinen Atem, deine Mimik fließen. Die Bewegung verändert sich automatisch – subtil, aber spürbar.
4. Spiegel oder Kamera
Führe den Trick nochmal aus – diesmal mit Spiegel oder Kamera. Beobachte:
Wie wirkt dein Blick?
Was sagen deine Hände?
Ist die Emotion gespielt oder gefühlt?
Das „Fehlerlabor“
Probiere bewusst Varianten aus, die nicht funktionieren:
Emotion übertreiben → Wird es theatralisch oder echt?
Trick ohne Emotion → Wie leer wirkt er?
Falsche Emotion → Was passiert bei einem Widerspruch?
So schärfst du dein Gespür für authentischen Ausdruck.
In der Praxis
Diese Übung eignet sich besonders für Tricks mit Atmosphäre – etwa:
Das Schweben eines Objekts
Das Verschwinden einer Münze
Das Öffnen einer mysteriösen Schachtel
Tipp: Verlängere den Moment des Geschehens. Halte den Blick, atme bewusst, lass Spannung entstehen. Die „Magie“ findet zwischen den Momenten statt.
Beobachte dich selbst:
Augen: Lebt dein Blick oder flackert er?
Gesicht: Zeigt es Gefühl oder nur „Show“?
Hände: Spiegelt sich die Emotion in der Fingerhaltung?
Atmung: Unterstützt sie die Bewegung?
Erweiterung: Partnerarbeit
Variante 1: Live-Feedback
Eine Person führt den Trick aus, die andere beobachtet. Danach kurzes Feedback:
„Ich habe gespürt…“
„Ich war nicht überzeugt bei…“
„Deine Hände wirkten bei der Emotion lebendig/leblos…“
Variante 2: Spiegelarbeit
Ein Spieler zeigt die Emotion im Trick – der andere „spiegelt“ sie zurück, ohne Worte. Dann wechseln.
So trainierst du nicht nur Ausdruck, sondern auch Wahrnehmung – essenziell für Bühne & Magie.
Reflexionsfragen
In welchem Moment war ich wirklich präsent?
Habe ich die Emotion gespielt – oder empfunden?
Wie verändert sich mein Trick durch mein Inneres?
Welche Gefühle passen zu mir – und zu meinem Stil?
Was braucht es, um Berührung statt nur Wirkung zu erzeugen?
Abschließende Gedanken
Die Verlangsamung zwingt uns, hinzuspüren, wo wir innerlich stehen, während wir zaubern oder spielen. Plötzlich wird sichtbar, ob eine Bewegung getragen ist – oder leer. Ob der Blick nur führt – oder fühlt. In dieser Langsamkeit wird der Körper zum Resonanzraum, in dem nicht nur Technik, sondern echte Präsenz vibriert.
Wenn du dich traust, den Moment auszudehnen, ihn mit Sinn und Gefühl zu füllen, entsteht ein ganz anderer Zauber. Nicht der Effekt steht im Vordergrund, sondern die Beziehung: zwischen dir und dem Objekt, zwischen dir und dem Publikum. Der Trick wird zur geteilten Erfahrung, nicht nur zur Demonstration.
Die stille Flamme ist kein Feuerwerk. Sie flackert nicht laut, sie brennt tief. Und manchmal reicht genau diese leise Glut, um Menschen zu berühren – ganz ohne große Geste. Denn wer mit dem Innersten spielt, der spielt nicht für den Applaus, sondern für die Verbindung.